Plädoyer für die Zuchtarbeit
von Wolfgang Mallin (Kommentare: 0)
Zwei Ereignisse bzw. Beobachtungen haben mich dieses Jahr nachdenklich gemacht. Als erstes war dies die Zuchtstoff-Ausgabe bei Walter Müller am 04.05.2020. Gerade einmal zwei Mitglieder waren da, um ihre Zuchtlatte von Walter belarvt zu bekommen. Das war vor einigen Jahren noch ein viel besuchter Termin, bei dem man Schlange stehen musste.
Die zweite Beobachtung machte ich bei meiner Tätigkeit als Bienensachverständiger. Auffällig häufig war dieses Frühjahr Kalkbrut und ABPV bzw. CBPV bei den Völkern festzustellen. Ich erhielt auch von vielen Imkern die Rückmeldung, dass sie an ihren Bienen diese Krankheitsbilder feststellen. Nicht zuletzt waren wir selbst betroffen.
Was hat das miteinander zu tun?
Zuchtarbeit zielt nicht nur auf Honigertrag!
Wir erleben in den letzten Jahren einen Strukturwandel in der Imkerei. Der Nebenerwerbs-Imker mit 15...30 Völkern wird zur Seltenheit, Honigertrag wird zur Nebensache. Der Anteil an Imkerinnen und Imkern, die aus ökologischen Gründen mit der Bienenhaltung beginnen und deutlich unter 10 Völker hält, nimmt deutlich zu.
Für diese Menschen hat Zuchtarbeit nach meiner Wahrnehmung einen untergeordneten Stellenwert. Zieht das Bienenvolk während der Schwarmzeit Zellen an, ja dann macht man eben mit der entsprechenden Wabe einen Ableger. Volk geschröpft, Schwarmtrieb (hoffentlich) zum erliegen gebracht - alles gut.
Wirklich alles gut?
Wer macht sich dabei schon Gedanken darüber, dass er damit die schwarmtriebigen Völker selektiert? Wer macht sich bei der Ablegerbildung überhaupt Gedanken über Selektion? Für viele Imkerinnen und Imker ist Zuchtarbeit gleichbedeutend mit "Trimmen auf Leistung". Ja, die Selektion auf Leistung, sprich Honigertrag, war eines der Zuchtziele, doch die Zucht nur darauf zu reduzieren ist zu kurz gesprungen. Dass wir heute in kurzen Hosen und ohne Schleier imkern können, dass Bienen in dicht besiedelten Wohngebieten gehalten werden können - auch das ist jahrelanger Zuchtarbeit zu verdanken.
Ein Blick auf die Zuchtziele
Werfen wir doch einmal einen Blick auf die Zuchtziele. Der DIB hat deren sieben, die AGT zehn und Bruder Adam hat seine Völker nach zweiundzwanzig (!) Kriterien bewertet und selektiert. Um den Bogen nicht zu überspannen, möchte ich mich hier auf die Zuchtziele des DIB beschränken:
- Honigleistung
- Sanftmut
- Wabensitz
- Winterfestigheit
- Frühjahrsentwicklung
- Volksstärke
- Schwarmneigung
Beim Studium dieser Kriterien sollte jeder Imkerin und jedem Imker klar werden, dass sie oder er eben doch einen Nutzen von der jahrzehntelangen Zuchtarbeit hat. Gerade die Kriterien Winterfestigkeit, Frühjahrsentwicklung und Volksstärke zielen auf die Resistenz gegen Krankheitserreger und haben Völker hervor gebracht, die auch mit widrigen Wetterbedingungen im Frühjahr zurecht kommen.
Und damit ist die Beziehung zwischen Zuchtarbeit und der Verbreitung von Krankheiten hergestellt.
Hauptsache sie fliegen?
Jetzt sollte man das Thema nicht dramatisieren - aber was würde denn passieren, wenn sich die Mehrzahl der Imkerinnen und Imker nicht mehr um Selektion und Zuchtarbeit kümmert? Wie schnell würden Bienenvölker in ihrem Verhalten in Richtung aggressiv tendieren, wäre massiver Schwarmtrieb wieder ein Problem?
Beim Thema Krankheiten wäre meine Vermutung, dass man schnell die Auswirkung sehen würde.
Von vielen Fachleuten gibt es die Aussage, dass Kalkbrut und ABPV bzw. CBPV mit hoher Wahrscheinlichkeit genetisch konditioniert sind. Wenn Drohnen aus diesen Völkern fliegen dürfen und damit die Verbreitung der Krankheiten unterstützen, würde es nach meiner Erwartung ziemlich schnell gehen.
Im Vereinsgebiet des BV Besigheim e.V. habe ich vor drei Jahren erstmalig bei einem (1x) Imker mehrere Völker mit massiver Kalkbrut gesehen - letztes und dieses Jahr ist mir Kalkbrut an einigen Bienenständen aufgefallen. Zufall? Ich glaube nicht...
Selektion heißt Verantwortung übernehmen
Ich möchte mit diesem Beitrag dafür werben, dass man sich mit dem Thema Selektion beschäftigt, auch wenn man nur wenige Völker hält, wenn einen Honigertrag überhaupt nicht interessiert. Es bedeutet, dass man Verantwortung für die Bienenhaltung übernimmt, die langfristige Auswirkungen hat.
Bestandserneuerung (...sprich Ableger bilden) sollte man von seinen guten Völkern machen, die eine gute Entwicklung zeigen und mit denen es Spass macht zu arbeiten. Auch wenn man nur vier oder sechs Völkchen hat, gibt es welche die positiv auffallen und welche, mit denen man nicht so zufrieden ist. Wer nicht selbst den Aufwand einer Zuchtarbeit betreiben will oder kann, der kann die Unterstützung des Vereins in Anspruch nehmen und sich bei Walter Müller entsprechendes Zuchtmaterial in Form von Zellen oder Königinnen besorgen.
Es hat einen langfristig positiven Effekt für uns alle.
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